Author
Daniel Flieger
QA Consultant

April 13, 2025

In der Welt des Software Testings sind Zertifizierungen ein viel diskutiertes Thema. Sie gelten oft als Türöffner für Karrieren, als Nachweis von Fachwissen und als Mittel, um sich in einem wettbewerbsintensiven Markt abzuheben. Doch wie wichtig sind sie wirklich? Und wie stehen sie im Verhältnis zur praktischen Erfahrung, die in diesem Bereich so entscheidend ist? In diesem Blogpost werfen wir einen Blick auf die Bedeutung von Zertifizierungen, ihre Vorteile und potenziellen Nachteile und beleuchten, warum die Kombination mit realer Erfahrung oft der Schlüssel zum Erfolg ist.

Zertifizierungen wie das ISTQB Certified Tester-Programm oder spezialisierte Schulungen zu Testautomatisierung bieten eine strukturierte Einführung in die Welt des Software Testings. Sie vermitteln grundlegendes Wissen über Testmethoden, -prozesse und -werkzeuge, das in der Praxis eine solide Basis schafft. Besonders für Einsteiger oder Quereinsteiger kann eine Zertifizierung Orientierung bieten und Arbeitgebern signalisieren, dass man die grundlegenden Konzepte versteht. In großen Unternehmen oder bei internationalen Projekten, wo standardisierte Prozesse und eine gemeinsame Fachsprache gefragt sind, kann ein Zertifikat zudem ein entscheidender Vorteil sein. Es zeigt, dass man mit Begriffen wie "Testfall", "Regressionstest" oder "Defektmanagement" nicht nur vertraut ist, sondern diese auch in einem anerkannten Rahmen gelernt hat.

Ein weiterer Pluspunkt ist die Sichtbarkeit, die Zertifizierungen mit sich bringen. Auf Plattformen wie LinkedIn oder in Bewerbungsunterlagen dienen sie als eine Art Qualitätssiegel. Personalverantwortliche, die mit der Flut an Bewerbungen konfrontiert sind, nutzen solche Nachweise oft als Filter, um Kandidaten einzuordnen. Besonders in regulierten Branchen wie dem Gesundheitswesen oder der Finanzwelt, wo Compliance und Nachvollziehbarkeit oberste Priorität haben, kann eine Zertifizierung den Ausschlag geben, weil sie dokumentiertes Wissen über Best Practices und Normen suggeriert.

Doch so wertvoll Zertifizierungen sein können, sie haben auch ihre Schattenseiten. Eine der größten Kritiken ist, dass sie oft zu theorielastig sind. Wer eine Prüfung besteht, hat vielleicht gelernt, wie man Testfälle nach Lehrbuch erstellt, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Person auch in der Lage ist, in einem agilen Team mit unklaren Anforderungen oder knappen Deadlines effektiv zu testen. Software Testing ist eine Disziplin, die Kreativität, Problemlösungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit erfordert – Fähigkeiten, die sich nur schwer in einem Kursraum vermitteln lassen. Hier kommt die praktische Erfahrung ins Spiel. Sie ist der Ort, an dem man lernt, mit echten Bugs umzugehen, Testskripte an chaotische Realitäten anzupassen und mit Entwicklern oder Product Ownern zu verhandeln.

Ein Beispiel: Ein Tester mit einer ISTQB-Zertifizierung mag wissen, wie man einen Testplan erstellt, aber erst durch reale Projekte versteht er, wie man diesen Plan an ständig wechselnde Prioritäten anpasst oder wie man mit unvollständigen Spezifikationen umgeht. Praktische Erfahrung schärft den Blick für Details und trainiert die Intuition, die oft wichtiger ist als jedes theoretische Wissen. Unternehmen schätzen Kandidaten, die nicht nur ein Zertifikat vorweisen können, sondern auch Geschichten aus der Praxis erzählen – etwa, wie sie einen kritischen Fehler kurz vor einem Release entdeckt haben oder eine Testautomatisierung eingeführt haben, die Zeit und Kosten gespart hat.

Trotzdem sollten Zertifizierungen nicht unterschätzt werden. In bestimmten Szenarien, wie etwa bei der Jobsuche in einem gesättigten Markt oder bei der Arbeit in einem großen Konzern mit standardisierten Abläufen, können sie den entscheidenden Unterschied machen. Sie sind ein Beweis für Engagement und die Bereitschaft, sich weiterzubilden – Eigenschaften, die Arbeitgeber schätzen. Doch der wahre Wert entfaltet sich erst in Kombination mit praktischer Erfahrung. Ein Tester, der beides mitbringt, ist nicht nur theoretisch versiert, sondern auch in der Lage, dieses Wissen anzuwenden und an reale Herausforderungen anzupassen.

Am Ende ist Software Testing eine Kunst, die sich nicht allein durch Zertifikate meistern lässt. Sie sind ein Werkzeug, kein Allheilmittel. Wer erfolgreich sein will, sollte Zertifizierungen als Sprungbrett nutzen, aber den Fokus darauf legen, dieses Wissen in der Praxis zu erproben und zu erweitern. Denn letztlich ist es die Erfahrung, die einen guten Tester zu einem großartigen macht.