Author
Christian Sädtler
Technology Strategist

June 13, 2025

Eine strategische Einordnung zur digitalen Souveränität Europas

Im Jahr 2025 ist die Lage eindeutig: Während politische Initiativen wie GAIA-X die Vision einer souveränen, wertebasierten Cloud-Infrastruktur hochhalten, dominieren in der Praxis nach wie vor die US-Hyperscaler AWS, Microsoft Azure und Google Cloud mit über 70 % Marktanteil in Europa. Europäische Anbieter kommen zusammen auf rund 13 % – und dieser Anteil sinkt weiter.

GAIA-X, Europas Vorzeigeprojekt für eine eigene Cloud, steht damit an einem Wendepunkt: konzeptionell vielversprechend, praktisch aber noch weit entfernt von echter Konkurrenzfähigkeit.

GAIA-X: Rahmenwerk statt Hyperscaler-Konkurrenz

GAIA-X ist kein Cloudanbieter, sondern ein föderiertes Rahmenwerk. Ziel ist es, bestehende Dienste europäischer Provider über gemeinsame Standards für Interoperabilität, Transparenz und Datensouveränität zu vernetzen. Anstatt direkt mit den Hyperscalern zu konkurrieren, soll ein wertebasiertes Cloud-Ökosystem nach europäischen Maßstäben entstehen.

Doch Stand 2025 steckt GAIA-X operativ noch in den Kinderschuhen. Pilotprojekte wie Virtuora, ein EU-geförderter Edge-Cloud-Verbund, zeigen erste Ergebnisse – aber eine durchgängige, skalierbare europäische Cloud-Plattform ist (noch) nicht vorhanden. Unternehmen mit Bedarf an KI-Services, globaler Skalierung und hoher Innovationsgeschwindigkeit greifen daher weiterhin auf US-Clouds zurück.

Technologischer Rückstand in Schlüsselbereichen

US-Hyperscaler investieren jährlich zweistellige Milliardenbeträge in KI, Infrastruktur und neue Dienste. AWS plant 2025 allein über 100 Milliarden US-Dollar CapEx – mehr als die gesamte europäische Cloudbranche zusammen.

Regulierung: Souveränität durch Standards – oder Technologie?

Die EU hat mit der DSGVO, dem Data Act und der kommenden EUCS-Zertifizierung klare rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen. Ziel ist es, Lock-in zu verhindern und Nutzerrechte zu stärken.

Doch Regulierung ersetzt keine Infrastruktur. Mangels eigener Hyperscaler bleibt europäischen Unternehmen oft nur der Griff zu US-Plattformen – auch wenn diese dem US-Recht unterliegen und Datenschutzrisiken bergen.

Öffentliche Investitionen wie IPCEI-CIS (über 3 Mrd. €) oder der EU Chips Act (43 Mrd. €) sollen den Rückstand mindern. Dennoch reichen diese Summen nicht aus, um den technologischen und wirtschaftlichen Abstand zu den USA zu schließen.

Ökonomische Realität: Größe gewinnt

Cloud ist ein Skalengeschäft. Wer global investiert, kann Skaleneffekte, Feature-Breite und Innovationsgeschwindigkeit bieten. Europäische Anbieter bleiben oft auf nationale Märkte begrenzt.

Das zeigt sich besonders bei generativer KI: Microsoft integriert OpenAI-Modelle in Azure und Office, Google baut Vertex AI aus – europäische Anbieter haben bislang keine vergleichbare Alternative.

Auch preislich reicht ein günstigeres Angebot nicht aus. Zwar ist z. B. Storage bei OVHcloud deutlich günstiger als bei AWS – doch Unternehmen priorisieren meist Funktionsumfang, Verlässlichkeit und globale Reichweite über Preisersparnis.

Strategischer Ausblick: Zwischen Abhängigkeit und Relevanz

Europa steht vor einer Grundsatzentscheidung:

Setzt man auf eigene technologische Souveränität – oder akzeptiert eine strategisch regulierte Abhängigkeit von US-Clouds?

Derzeit deutet vieles auf Letzteres hin. GAIA-X bleibt ein wichtiges politisches Symbol, aber (noch) kein wirtschaftlicher Game-Changer. Um den Rückstand aufzuholen, wären koordinierte EU-Investitionen in Höhe von 500–700 Mrd. € nötig – aktuell nicht in Sicht.

Chancen bestehen in Nischen wie:

  • Edge-Computing
  • Datenräume in der Industrie
  • Branchenplattformen (z. B. Automotive, Gesundheit, Energie)

Dort könnte Europa technologisch und normativ führend werden – wenn die Bemühungen fokussiert und beschleunigt werden.

Fazit: Digitale Souveränität ist ein Marathon

Europa hat 2025 wichtige Grundlagen geschaffen – mit offenen Standards, Trust-Frameworks und rechtlicher Klarheit. Doch GAIA-X ist aktuell eher Vision als vollwertige Alternative.

Die technologische und wirtschaftliche Dominanz der US-Hyperscaler ist intakt – und wird sich nicht ohne außergewöhnliche politische und industrielle Anstrengungen ändern.

Digitale Souveränität bleibt ein berechtigtes Ziel. Doch es liegt an Europa, ob daraus ein zukunftsfähiges Cloud-Ökosystem wird – oder ob man weiterhin gut regulierter Nutzer fremder Technologie bleibt.

Quellen: