Author
Christian Sädtler
Technology Strategist

December 11, 2025

Wenn man heute über Cloud-Computing spricht, denken die meisten sofort an die großen Namen aus den USA. Doch während AWS, Microsoft Azure und Google Cloud den Markt dominieren, formiert sich in Europa ein ernstzunehmender Gegenentwurf. An vorderster Front dabei: Stackit, der Cloud-Anbieter der Schwarz Gruppe.

Von der Handelskette zum Cloud-Provider

Die Geschichte von Stackit beginnt dort, wo man sie zunächst nicht vermutet hätte – im IT-Keller von Lidl und Kaufland. Was 2021 als internes Projekt zur Digitalisierung der eigenen Handelsinfrastruktur startete, entwickelte sich überraschend schnell zu einem ernsthaften Cloud-Angebot für externe Kunden. Die Schwarz Gruppe verfügte bereits über beeindruckende IT-Kapazitäten: 14.200 Filialen mit vernetzten Systemen und 23.000 Server im laufenden Betrieb. Diese Grundauslastung bildete das Fundament für etwas Größeres.

Heute, nur wenige Jahre später, betreibt Stackit mehrere Hochleistungsrechenzentren in Deutschland und Österreich mit rund 2.000 physischen Servern und etwa 300.000 CPU-Kernen. Die Kundenliste liest sich dabei durchaus respektabel: SAP nutzt die Plattform für "RISE with SAP", der FC Bayern München vertraut seine digitale Infrastruktur Stackit an, und der Hamburger Hafen hat seine Cloud-Strategie darauf aufgebaut.

Ein Gigant entsteht in Brandenburg

Das wirklich Bemerkenswerte passiert jedoch gerade in Lübbenau, Brandenburg. Dort investiert die Schwarz Gruppe etwa 11 Milliarden Euro in ein Mega-Rechenzentrum, das alle bisherigen europäischen Projekte in den Schatten stellt. Sechs Modulbauten mit einer Anschlussleistung von 200 Megawatt sollen bis 2027 entstehen – ausgelegt für bis zu 100.000 GPUs der neuesten Generation. Zum Vergleich: Das kürzlich angekündigte KI-Rechenzentrum von Deutsche Telekom und Nvidia in München plant mit rund 10.000 GPUs.

Diese Dimensionen zeigen deutlich, dass Stackit nicht als europäisches Nischenprojekt gedacht ist, sondern als ernsthafter Versuch, im Spiel der globalen Cloud-Giganten mitzumischen. Besonders im Bereich Künstliche Intelligenz positioniert sich das Unternehmen damit als künftiger europäischer Hyperscaler.

Souveränität als Geschäftsmodell

Während AWS, Azure und Google Cloud zusammen etwa 72 Prozent des europäischen Cloud-Infrastrukturmarktes kontrollieren, setzt Stackit auf ein anderes Pferd: digitale Souveränität. Alle Kundendaten liegen ausschließlich in Rechenzentren in Deutschland und Österreich. Das klingt zunächst wie ein technisches Detail, hat aber weitreichende Konsequenzen. Diese Daten unterliegen nur europäischem Recht – DSGVO, BDSG und weitere EU-Verordnungen –, nicht jedoch dem amerikanischen CLOUD Act, der US-Behörden theoretisch Zugriff auf Daten amerikanischer Unternehmen gewährt, selbst wenn diese auf europäischen Servern liegen.

Für Banken, Versicherungen, Gesundheitseinrichtungen und öffentliche Verwaltungen ist das kein nebensächliches Argument. Die Anforderungen an Datenschutz und Compliance werden strenger, nicht lockerer. Stackit hat das früh erkannt und seine gesamte Infrastruktur darauf ausgerichtet. Das Unternehmen erfüllt die anspruchsvolle BSI C5-Prüfung mit Type 2 Attestierung – einen der höchsten deutschen Cloud-Sicherheitsstandards – und ist nach ISO/IEC 27001 zertifiziert. Auch die IT-Grundschutz-Zertifizierung steht auf der Agenda.

Technologie mit offenen Karten

Technisch basiert Stackit auf OpenStack, einer Open-Source-Cloud-Plattform. Diese Entscheidung für offene Standards ist bewusst gewählt und Teil der Strategie. Kunden sollen nicht in einen Vendor-Lock-in geraten, wie er bei proprietären Systemen oft unvermeidlich ist. Die Stackit Kubernetes Engine ermöglicht moderne Container-Orchestrierung, und der Fokus auf Confidential Computing – also hochsichere Verschlüsselung selbst während der Datenverarbeitung – zeigt, wo die Prioritäten liegen.

Ein interessantes Detail dabei: Stackit arbeitet durchaus mit globalen Tech-Größen zusammen, allerdings auf eigenen Bedingungen. 2024 schloss das Unternehmen eine Partnerschaft mit Google, um Google Workspace für europäische Kunden bereitzustellen. Der Clou: Die gesamte Datenhaltung inklusive verschlüsselter Backups bleibt in Stackit-Rechenzentren in der EU, selbst Google hat keinen Zugriff auf die Verschlüsselungsschlüssel. So lassen sich globale Software und europäische Datensouveränität verbinden.

Künstliche Intelligenz aus Europa

Im Bereich KI baut Stackit sein Angebot derzeit massiv aus. Der Dienst "Stackit AI Model Serving" ermöglicht es Unternehmen, generative KI-Modelle als Managed Service zu nutzen – DSGVO-konform in deutschen und europäischen Rechenzentren. Dabei setzt das Unternehmen auch auf europäische Partner: Die Schwarz Gruppe ist am deutschen KI-Startup Aleph Alpha beteiligt, dessen Sprachmodelle über Stackit verfügbar sind. Ein erstes Produkt daraus, AuditGPT zur KI-gestützten Wirtschaftsprüfung, läuft bereits produktiv bei der Deutschen Bahn und der Schwarz Gruppe selbst.

Die GPU-Instanzen mit neuesten NVIDIA-Generationen und die geplanten riesigen Trainingskapazitäten in Lübbenau zielen darauf ab, europäischen Unternehmen das Training großer KI-Modelle zu ermöglichen, ohne auf amerikanische oder chinesische Infrastruktur angewiesen zu sein. In der Initiative "DataHub Europe" arbeitet Stackit mit der Deutschen Bahn zusammen, um branchenübergreifende Datensätze für rechtssicheres KI-Training bereitzustellen.

Zwischen Gaia-X und eigenem Weg

Stackit war von Beginn an Teil von Gaia-X, dem groß angekündigten europäischen Projekt für eine föderierte Cloud-Infrastruktur. Allerdings hat Gaia-X die hochgesteckten Erwartungen bisher kaum erfüllt. Interne Unstimmigkeiten, unklare Ziele und die Aufnahme amerikanischer Konzerne als Mitglieder haben verhindert, dass greifbare Markterfolge erzielt wurden. Der europäische Cloud-Marktanteil ist trotz Gaia-X sogar weiter geschrumpft.

Stackit geht deshalb einen pragmatischeren Weg. Statt auf langsam greifende Konsortien oder öffentliche Fördergelder zu warten, investiert die Schwarz Gruppe massiv eigene Mittel. Die Milliarden für Lübbenau kommen aus der Unternehmenskasse, nicht aus EU-Töpfen. Das verschafft Handlungsfreiheit und Tempo. Gleichzeitig bleibt das Unternehmen den Zielen von Gaia-X verpflichtet – Interoperabilität, offene Standards und Vermeidung von Vendor-Lock-in sind zentrale Bestandteile des Angebots.

Politischer Rückenwind

Die politische Unterstützung ist beachtlich. Das Bundesinnenministerium schloss 2025 eine Kooperation mit Stackit zur Entwicklung souveräner Cloud-Lösungen für die Bundesverwaltung. Der Digitalminister persönlich war beim ersten Spatenstich in Lübbenau dabei. Für staatliche und kritische Infrastrukturen wird Stackit zunehmend als vertrauenswürdiger Provider betrachtet – eine Position, die sich amerikanische Anbieter in diesem Segment schwer erarbeiten müssen.

Prognosen zufolge könnten bis 2030 etwa zehn Prozent des deutschen Cloud-Marktes auf souveräne Cloud-Angebote entfallen, was einem Volumen von rund zwei Milliarden Euro entspräche. Stackit positioniert sich, einen erheblichen Teil dieses Segments abzudecken.

Die Realität des Wettbewerbs

Bei aller Ambition sollte man die Verhältnisse nicht verkennen. AWS hält weltweit etwa 30 Prozent Marktanteil, Azure rund 20 Prozent, Google Cloud etwa 13 Prozent. Diese Unternehmen haben Jahrzehnte und hunderte Milliarden Dollar in ihre Plattformen investiert. Ihr Funktionsumfang – von Serverless Functions über hochentwickelte KI-Plattformen bis zu spezialisierten Datenbankservices – ist schlicht überwältigend.

Stackit bietet solide IaaS- und PaaS-Dienste, Managed Databases, Kubernetes, Object Storage und weitere zentrale Cloud-Services. Für viele Unternehmensanwendungen reicht das vollkommen aus. Doch die schier endlose Service-Palette der Hyperscaler mit ihren globalen Partnernetzwerken, attraktiven Free-Tier-Angeboten und riesigen Entwickler-Communities erreicht Stackit naturgemäß nicht. Auch OVHcloud, als größter europäischer Cloud-Provider mit über einer Milliarde Euro Umsatz, spielt noch in einer anderen Liga als die amerikanischen Riesen.

Der entscheidende Unterschied liegt jedoch nicht im Funktionsumfang, sondern im Ansatz. Stackit adressiert gezielt europäische Unternehmen und Institutionen, die hohen Wert auf Datensicherheit, persönliche Betreuung und Compliance legen. Der Rückhalt der Schwarz Gruppe vermittelt dabei Stabilität und langfristige Orientierung. Man positioniert sich nicht als Alleskönner für jeden globalen Anwendungsfall, sondern als spezialisierter Partner für regulierte Branchen und souveränitätsbewusste Organisationen.

Ein europäischer Champion im Werden

Ob Stackit tatsächlich zum europäischen Cloud-Champion aufsteigen kann, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Die Investitionen sind gigantisch, die technische Infrastruktur wächst rasant, und die Kundenliste wird länger. Mit der Digitalsparte Schwarz Digits erzielte die Gruppe 2024 etwa 1,9 Milliarden Euro Umsatz, wobei ein Großteil aus internen IT-Leistungen stammt. Der externe Cloud-Marktanteil ist noch gering.

Was Stackit jedoch bereits jetzt beweist: Eine europäische Alternative zu den amerikanischen Hyperscalern ist möglich, wenn ein Unternehmen bereit ist, massiv zu investieren und einen langen Atem zu haben. Die Kombination aus eigener Handelserfahrung, pragmatischem Unternehmertum und dem Bewusstsein für europäische Anforderungen könnte sich als Erfolgsrezept erweisen.

Für die EU-Digitalstrategie ist Stackit in jedem Fall ein wichtiger Baustein. Das Unternehmen zeigt praktisch, wie digitale Souveränität, DSGVO-Compliance und Cloud-Innovation zusammengehen können. Ob als Hauptplattform oder als Teil einer Hybrid-Cloud-Strategie – für viele europäische Organisationen bietet Stackit eine Option, die vor wenigen Jahren noch nicht existierte.

Und vielleicht ist genau das der Punkt: Es geht nicht darum, AWS oder Azure zu ersetzen. Es geht darum, eine echte Wahl zu haben.